Irgendwo muss es da eine geheime (stille) Übereinkunft geben zwischen Jean Touitou und Wörtern (zufälligerweise verehrt er diese). Nichtsdestotrotz scheinen einem die Worte zu entgleiten, wenn man sie sucht um diesen Charakter zu beschreiben, der 2009 zwischen Shibuya und der Mercer Street in New York, der rue Madame in Paris und Stockholm, Beckett und Cristobal Balenciaga lebt. Manchmal ist man versucht, Jean Touitou zu fragen ob er nicht mal zurückschauen will, einen Blick darauf werfen, was er alles geschafft hat seit seiner Geburt in Tunis im Jahr 1951. Aber wir nicht.
ACHTUNG.
Er gehört zu einer Kategorie von Menschen, die ohne jegliche Vorwarnung durch das Jahrhundert fliegen, ihm aber trotzdem einen eigenen Anstrich verpassen. Als er 16 war, unterstützte er Mao. Mit achtzehn war er bereit für die Universität. Mit 20 tritt er dem Trotzkismus bei. Sein Geheimname war Dublin. Sobald Dinge begannen, gingen sie einfach immer weiter, unerbittlich, so wie es eine Rhythmusgruppe tut (Dialektik, obwohl ein steter Beat nach Motown ruft). Lagerist, dann Buchhalter bei Kenzo, ein Mitarbeiter für die Entwicklung von Agnes b. auf dem amerikanischen Kontinent, Partner mit Irie und Joseph.
HÖHEPUNKT.
1987 gründet er A.P.C. (Atelier de Production et de Creation) mit einer Herrenkollektion (die Damenkollektion folgt 1988). Ideal für diese Phase, in der Schnitte und Gitarrenriffs klar geschnitten waren, genau zur richtigen Zeit dass uns ein Ass Style bringt. Menschen wie Jean Touitou werden dann gefragt, was er in uns sehen kann. Aber er hört zuallererst. Wörter sind rar. Der Ton, den er hören kann, ist ein nervöser Ton, sowohl eindringlich als auch voller Dringlichkeit. Höchstwahrscheinlich der Sound von Rock’n’Roll. Die Bilderwelt wird seine sein, er wird leicht und rebellisch sein, drastisch und streng, wird zielen auf das, was am durchdringensten ist. Das Paradoxon ist, dass diese heilige Energie nicht in seinen Kollektionen gefunden werden kann. Sie sind voll von einer faszinierenden Distanz derjenigen, die genug gesagt haben. Aber Gefühlsausbrüche, nichts dergleichen, nichts als ein Standpunkt, eine elegante Unruhe. Kein Name, kein Schreien. Auf keinen Fall. Das ist die ausgemerzte Trägheit der Dandies des 20. Jahrhunderts: Ray Davies, Brian Jones. Diese Liste könnte endlos weitergehen… Roland Barthes, Adorno, The Beatles, Ma… Keine Namen.
TUGEND.
Es ist schwer, diese A.P.C. Kollektionen (vierzig in zwanzig Jahren) in Worte zu fassen, diese Kleidung, diskret dem Anlass entsprechend, ein flüchtiges Verhalten, der Dämmerung Glamour verleihend, und sie sieht einfach so aus, wie die die sie tragen, meist ungreifbar, halb Dissident und halb Trendsetter, urban flüchtig und Wanderer voller Eigenarten. Es ist als sei dort ein Engelskreis zwischen den Boutiquen und denen, die dort hingehen. Das Licht ist weich, nichts ist beleidigend. Wir sind hier zwischen zwei Klammern; keine schlitzenden Anführungszeichen werden dieses Universum stören, diese weiße Wand, diese Wand voller Gitarren. Hier sind wir bloß Partner, und wir haben uns darauf geeinigt. Keine Banner als Etiketten, keine glänzenden Hymnen. So ist ein Mythos aufgebaut, entflochten von all den Details, die eine Zeit zu bieten hat (ein Bob, eine Reefer Jacke, ein Paar Turnschuhe, ein Paar Shorts), und das alles ist so frisch (ein Schuljungencape, Tanzschuhe, ein Kittel). Wie ein beiläufig geflüstertes Geheimnis.
GEMEINSCHAFT.
Es ist überall. In Aoyama, Daikanyama, auf der Mercer Street, in Berlin, Antwerpen, auf dem Festival Walk (Hong Kong), der rue de Marseille in Paris… Jean Touitou und A.P.C. auch: 25 eigene Boutiquen, zehn Franchise-Geschäfte, 100 Multibrand Stores, 250 Mitarbeiter. Kein Mangel an Strategie um auf ausländische Währungen zu zielen, nur sich faltende Zeit. Ein Spaziergang durch Kopenhagen, die Entdeckung einer bemerkenswerten Boutique, und ein paar Monate später siedelt sich A.P.C. in der Montergade 5 an. In Tokio sind die Dinge noch verstörender. Dort gibt es die gespannten, bewundernden Menschenmassen, sofortige Reaktion, ein Kult, der einen Einblick für die Zukunft gibt, und all das umhüllt in der verspielten Transparenz Masamichi Katayamas Agentur Wonderwall (sie haben kürzlich Colette in Paris einen neuen Anstrich verpasst).
SAG NEIN.
Das Paradoxe daran, schnell zu sein, ist dass man auch die Dinge, die mehr Zeit brauchen einkalkulieren muss. Kein Vermischen, das verlockende Vergnügen, nein, noch nicht, zu sagen. Das ist ein bisschen wie die Versprechen des Morgengrauens, und so erreicht man diese zarten Momente: Kaschmirpullover für 150€ anzubieten, bedeutet Teil eines neuen Jahrhunderts zu werden, welches radikal chaotisch ist, welches immer irgendwo anders ist. Werte zerbröckeln, verändern sich in Schallgeschwindigkeit. Wenn die Dinge so schnell gehen, ist es gut, sich seiner Sache treu zu bleiben, an Prinzipien und jugendlichen Werten festzuhalten, ständig in Bewegung zu bleiben um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Jean Touitou an A.P.C.s Ruder, eine Art glubschäugiger Tagträumer, ist auf uns davon. Er fühlt sich wohler mit einer Webmaschine aus dem 18. Jahrhundert, die weinrote Frösche ausspuckt als bei einem New Yorker Charitydinner (seine eigenen Worte). Er publizierte wie ein Verrückter 20 CDs (von kubanischer Musik, jüdisch-arabischen Dub mit Lili Boniche, bis hin zu seiner bedingungslosen Unterstützung von Housse de Racket oder Metronomy). Er spricht über Balenciaga Cristobal Balenciaga, der selbst sagte, er wolle seinem Modehaus ein Ende setzen, sagte es wäre bald Geschichte. Jean Touitou war auf die gleiche Weise kess uns sagte, als sei er David Bowie der über Ziggy spricht, dass es A.P.C. bald nicht mehr geben würde. Auf diese Weise blieb er seinen jugendlichen Gefühlen von Verbitterung treu, und er wäre sogar bereit, sich vom Rock’n’Roll zu trennen falls der als die Farce, die die Menschen aus ihm gemacht haben, weitermacht, eine Nachäffung seines anfänglichen, dreckigen Anreizes.
WAHWAH.
Im Pariser Hauptbüro in der rue Madame um sechs Uhr abends kann man oft den Buchhalter und die PR-Frau sehen, wie sie sich im hauseigenen Tonstudio einfinden. Jonathan Richman, Sofia Coppola, Marc Jacobs, Bill Laswell, Wes Anderson waren bereits vor ihnen da, um das Ludwig Schlagzeug, Jean Touitous treue Fender Jazzmaster Gitarre und sein Cry Baby Pedal von Dunlop. Wörter, die ihm solche Angst machen, sind nicht vergessen. Als er kürzlich kurz davor war, die Übernahme seiner Gruppe aufzugeben, stand er einige Minuten vor dem Schaufenster in der rue Madame, eine Art sich zusammenzureißen. In einem Schaufenster stand stolz eine Neuausgabe eines Buches, das viele Menschen wundern lässt: Tony Duverts “Anneau à l’oreille”, sowie sein “Abécédaire malveillant”. Das ist alles Teil von A.P.C.s beunruhigendem Spiel von Hop Scotch (Olivenöl, Gitarrenplektren, Parfum, Herrenhandtaschen), und ein neues Spielfeld ist gerade erst aufgetaucht: eine private Kindergartenschule, in der rue de Fleurus, designt von Laurent Deroo, mit Möbeln von Alvar Aalto und der Hilfe von Jessica Ogden.
François Juve.